Durch die Brille einer Next-Generation Stipendiatin – Nachbericht Westwind Festival 2016

Meine Erwartungen bezüglich eines Austausches innerhalb des Festivals wurden sogar übertroffen. Die Gruppe der Next- Generation Stipendiat*innen war ein Konglomerat aus verschiedensten Charakteren aus verschiedenen Professionen und Kontexten. Sehr schnell hat sich eine Vertrautheit eingestellt. Die gesehenen Produktionen wurden in unserer Runde nachbesprochen. Das Festival bot aber auch einen fruchtbaren Boden um mit Unbekannten ins Gespräch zu kommen und sich auf Augenhöhe mit Theatermacher*innen auszutauschen. So kamen spontan Gespräche zustande, bei denen der Gesprächsstoff nie ausging und jegliche Fragen gestellt werden konnten, die zuvor unter uns Next-Generations zu Tage traten. Unsere Gesprächspartner*innen berichteten von ihrer Arbeitserfahrung und persönlichen Sichtweisen, Motivationen und Anliegen zum Thema Kinder- und Jugendtheater. Gemeinsame Interessen wurden entdeckt.

Ich möchte nun näher auf meinen spezifischen Beobachtungsschwerpunkt eingehen, anhand dessen ich einige Stücke reflektieren möchte. Das Festival schafft einen Rahmen, in dem sowohl theoretisch wie praktisch durch die eingeladenen Inszenierungen eine für mich wichtige Qualität des Kinder- und Jugendtheaters verhandelt wird:

In meinen Augen stellt sich Kinder- und Jugendtheater am stärksten den Bedürfnissen seiner Zuschauenden. Unter Vorraussetzung der aktiven Zuschauerrolle testet diese Form des Theaters Mittel, die zu intuitiver und sensitiver Interpretation führen. Unter Setzung dieser Annahme nahm ich mir vor, besonders den Raum in den Fokus meiner Beobachtungen treten zu lassen, da dies in meinem Masterstudium Szenografie im Vordergrund steht. Es geht hier jedoch nicht um den Raum allein, sondern um die Verbindungen, die mithilfe des Raumes geschaffen werden. Wie kann der Raum als Mitspieler fungieren?

Eine wiederkehrende Thematik waren auf der Bühne eingesetzte Leinwände und Projektionen. So zum Beispiel bei der Inszenierung „Alice im Wunderland“ (Stadttheater Moers), bei der es sowohl eine Rückleinwand, wie auch einen mit Leinwand hinterlegten Rahmen gab, der durch anfängliches Spiel zwischen Projektion und Spielenden als Spiegel eingeführt wurde. Es gab zudem die Möglichkeit hindurch zu gehen. Hier hat eine Verschmelzung von Bühne und Spielenden in meinen Augen funktioniert, während die große Leinwand eher der Illustration von Landschaften oder Figuren diente. Einige Figuren erschienen ausschließlich auf der Leinwand. Ihre Einbindung wurde für mich hauptsächlich durch die eingespielten Stimmen erreicht.

Auch bei „das unsichtbare Haus“ (Theater Münster) gab es eine Rückleinwand. Der einführende Spielvorgang bestand daraus, dass die Spielerin hinter die Leinwand ging und eine Projektion ihres Skelettes erschien. Ihre Stimme kommentierte, was weiterhin auf der Leinwand zu sehen war. Stimme scheint eine körperlose Präsenz zu sein, die geeignet ist um die Spannung auf der Bühne aufrecht zu erhalten, beziehungsweise die als Spielpartnerin auf der Bühne funktionieren kann.

In „das unsichtbare Haus“ war die Projektion ein wesentliches Erzählelement. In „Alice im Wunderland“ tauchte sie eher als unterstützendes Mittel auf. Jedoch kann hier das Mittel der Projektion auch auf der Bedeutungsebene gelesen werden, zum Beispiel als Phantasie von Alice oder als Erweiterung ihrer Persönlichkeit. In diesen Produktionen wurde mithilfe des spezifischen Mittels der Projektion der Raum zum Mitspieler. Ich möchte an dieser Stelle näher die Beziehung zwischen Raum und Zuschauenden eingehen, die von den Spielenden unterstützt wird. Mit einer aktiven Rolle der Zuschauenden im Hinterkopf fragte ich mich:

Wie werden räumlich Grenzen durchlässig?

Den Ansatz, die räumlichen Grenzen zwischen Bühne und Zuschauerraum zu verwischen, war besonders in „Co-Starring“ (Schauspielhaus Bo- chum) und „Antigone“ (HELIOS Theater) zu sehen. In „Antigone“ wird auch die Tribüne als Spielraum erschlossen. Die Inszenierung
mutet wie eine Talkshow an. Der „Moderator“ sprach einzelne Zuschauende an, immer mit Ja – und Nein-Fragen zum Thema Staat, Absolutismus und Moral. Zu mehreren Zeitpunkten wurde das Publikum gefilmt und live auf einen Stoff auf der Bühne projiziert. In diesem Moment könnte man sich fragen: Welche Rolle hat das Publikum? Ist es das Volk des antiken Griechenlandes? Oder ein heutiges Volk? Dem Publikum wird klar gemacht, dass es als Element inszeniert ist. Auch die wiederkehrende Befragung des Publikums unterstützt diesen Eindruck. So ist jedes Individuum aus dem Publikum dem Risiko ausgesetzt, aus der Masse herausgepickt und ausgestellt zu werden. Es schien sich bei den Fragen jedoch eher um rhetorische Fragen zu handeln. Für mich blieb die Rolle des Publikum rein repräsentativ statt interaktiv. Am Ende der Inszenierung bewegten sich alle Schauspieler*innen auf der Tribüne, was für mich zu einer Unruhe geführt hat. Eine dynamisch-dramatische Stimmung wurde physisch spürbar.

In „Co-Starring“ wird von Anfang an klar, dass es hier keine klassische Bühne geben wird. Statt auf den statisch-bequemen Tribünenstühlen platz zu nehmen, wurde auf, in vier Gruppen geteilten, Hockern auf der Bühne gesessen. Das schaffte die Situation, sich zum Schauspieler umdrehen zu müssen, der um die Zuschauenden herum und und auch inmitten der Zuschauenden spielte. Allein dadurch wurden die Zuschauenden auch physisch aktiviert. Ein je nach Sitzposition individuelles Spiel von Nähe und Distanz entstand, es fand immer wieder Augenkontakt mit einzelnen Zuschauenden statt.

Der Raum spielte eine Rolle in den Prozessen, die ich bei beiden Stücken beobachtete. Das Set-Up wich zumindest bei „Co-Starring“ von der klassischen Teilung ab, bei „Antigone“ war auch die Tribüne Spielraum. Die Regeln des Zusammenspiels sind nicht mehr ganz offensichtlich von Anfang an klar. Dadurch lotete sich die Beziehung zwischen Zuschauer*in und Spieler*in im Verlauf des Stückes neu aus. Die Spielenden leisten einen großen Beitrag zum Herstellen von Grenzverwischungen. In diesem Moment ist eine Bühne nicht als fest installierte, physische Größe, sondern als Richtung der Aufmerksamkeit zu verstehen. Durch den Raum und seine Nutzung mithilfe der Spieler können Zuschauende zu Mitspielenden werden.

FAZIT
Die Fragen, mit denen ich auf das Festival gekommen bin, haben viele Stücke auf ihre Weise beantwortet. In Gesprächen habe ich unterschiedliche Perspektiven auf den Umgang mit diesen Fragen bekommen. Dennoch glaube ich keine eindeutigen Antworten bekommen zu haben, sondern vieldeutige. Ich finde es nach wie vor wichtig, Fragen zu stellen und sich auf die Suche nach möglichen Antworten zu machen. Das macht für mich einen kreativen Prozess aus, der in einer Annäherung besteht.

Von Dorothea Mines

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