„Einfach hinsetzen und reden is nich.“ – Birte Werner zur Kunst der Nachgespräche

Ich betrete die Aula, bereits an der Tür begrüßt mich ein Plakat mit einer Frage zu einer der Inszenierungen die ich gesehen habe. Meine Antwort schreibe ich auf einen bereitliegenden Zettel und stecke ihn in die Hosentasche.


Weiter führt mein Weg durch Stellwände, auf denen Charts zu verschiedenen Fragen zu sehen sind. Dass die Personen vor mir diese Fragen wohl bereits für sich beantwortet haben, sehe ich an den bunten Klebepunkten, die die diversen Positionen der Gesprächsgruppenmitglieder anzeigen: „Welche der Inszenierungen habe ich gesehen?“, „Sollte Kinder- und Jugendtheater politisch sein?“, „Ich bin ein Tschick-Fan (Buch/Theaterstück/Film)“ etc. Am Ende des Parcours steht ein Tisch mit Wasser, Saft, Kaffee, Kuchen und Süßigkeiten und ich werde aufgefordert mich jederzeit zu bedienen. Der Raum ist hell und angenehm kühl, zwei Halbkreise aus Stühlen und Gruppentische sind aufgebaut, es läuft Musik.

„Atmosphäre schaffen ist wichtig.“, sagt später Birte Werner im Gespräch über die Arbeit an den Inszenierungsgesprächen. Ihr geht es darum eine gute Gastgeberin zu sein. Jedes Gespräch verlangt eine gründliche Vorbereitung und Inszenierung des Raums, ca. 1 ½ Stunden vorher beginnt sie damit eine gute Gesprächsatmosphäre einzurichten. Dabei kommt es auch auf die kleinen Dinge an, schön gezeichnete Charts zum Beispiel oder Schilder auf den Gruppentischen, die das jeweilige Gesprächthema/die Inszenierungen anzeigen und natürlich Musik zum Reinkommen und Versorgung des leiblichen Wohls. Wie kommen wir nun von der lockeren Atmosphäre in ein gemeinsames Gespräch?

„Es braucht einen Impuls um ins Gespräch zu kommen.“, sagt Birte. Beim ersten Inszenierungsgespräch liest sie deshalb Fragen und Aussagen, zu denen sich die Gesprächsteilnehmer*innen räumlich positionieren. Das wird eher verhalten aufgenommen und führt zwar zu Abbildungen von Meinungen im Raum, regt aber nicht zum Gespräch an. Beim nächsten Gespräch ändert sie deshalb die Taktik: Alle Teilnehmenden werden eingeladen sich in Stuhlhalbkreise zu setzen, die erste Reihe dreht sich nun um und die so entstandenen Paare starten in ein kurzes Gespräch. Dabei kann die beim Betreten des Raumes aufgeschriebene Antwort ein Startimpuls sein, oder nicht. So in Gesprächslaune gebracht, geht es an Gruppentischen weiter, zu jeder Inszenierung finden sich 5-6 Personen zusammen und starten in das Gespräch. Zehn Minuten lang „geistern“ die Mitglieder der betreffenden Produktionsteams durch den Raum und können den Gesprächen zwar zuhören, sich jedoch nicht einmischen oder mitreden. Erst nach dieser Frist können sie sich mit an einen Tisch setzen und in die Diskussion einsteigen, wenn sie das wollen.

Das „Geistern“, wie auch die Diskussion an kleineren Gruppentischen habe sie aus dem letzten Jahr übernommen, erzählt Birte. Für WESTWIND 2016 entwickelte sie gemeinsam mit dem Festivalteam drei verschiedene Gesprächsformate (hier zum nachlesen) aus denen dann dieses Jahr, mit den gesammelten Erfahrungen und dem Feedback der Gruppen, ein durchgehendes Format montiert wurde.

Birte nutzt dazu auch Strategien aus dem Bereich des Coachings, das Fragen-Sammeln zu Anfang zum Beispiel, oder die Charts, deren Skalen und Klebepunkte die diversen Meinungen aus der Gruppe sichtbar machen. „Das kann sehr spannend sein.“, sagt sie. So versammeln sich auf die Frage „KANN Kinder- und Jugendtheater politisch sein?“ alle Klebepunkte bei „Ja“. Auf die Frage „SOLL Kinder- und Jugendtheater politisch sein?“, finden sich die Punkte auf dem gesamten Spektrum von „Ja“ bis „Nein“.

Bei einem solchen Format liegt die Hauptarbeit in der Vorbereitung, die Moderation während des Gesprächs beschränkt sich auf eine Minimum. Vorbereitung und das Format des Gesprächs haben die gleiche Aufgabe wie eine gute Moderation: Klare Regeln etablieren und damit die Teilnehmenden zum Reden ermächtigen. Wobei sie immer die Wahl haben die Regeln zu befolgen oder zu brechen. „Moderation ist nicht der richtige Begriff für das was ich tue“, sagt Birte „ich suche noch nach einer treffenden Beschreibung, vielleicht Ermöglicher*in.“

 

 

Alle Fotos © Bettina Engel-Albustin

KLUB KIRSCHROT
KLUB KIRSCHROT entwickeln in kollektiven Arbeitsprozessen Theaterstücke für ein junges Publikum. Das WESTWIND 2017 dokumentiert KLUB KIRSCHROT als WESTWIND-Blog Team bestehend aus Rosi Böhm, Kristin Grün, Sarah Kramer und Matthias Linnemann.

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