Interkultur und Leitkultur – Ein Tischgespräch

Wir müssen wieder politischer werden, wir benennen die gleichen Dinge, wir haben Themen, die uns alle interessieren. (Eine Teilnehmer_in)

Gewalt ist ein Thema und Interkulturalität ist unsere Realität. Kunst wirkt nur dann, wenn sie öffentlich wird. Wir sollten die Künste nutzen um Probleme politisch kommunizierbar zu machen, wir sollten uns darüber bewusst sein, dass sich kulturelles Kapital in Macht umsetzten lässt. (Eine Teilnehmer_in)

Kunst muss oft politische Probleme lösen, zum Beispiel Gewalt. Die Welt, in der unsere Arbeit stattfindet, ist interkulturell.  (Eine Teilnehmer_in)

Am Dienstag, den 26. April, um 17.00 Uhr in der Kellerbar des Consol Theater lud das gastgebende Theater zu einem Tischgespräch mit dem Titel „Interkultur und Leitkultur“ ein. Dabei gingen die Veranstalter_innen von den folgenden Überlegungen und Fragen aus:

In den Kulturbetrieben ist die Diskussion um eine Leitkultur wieder aktuell geworden, und damit verbunden, die Frage nach einer Wertdebatte. Die Kinder- und Jugendtheater verfügen über jahrelange Erfahrung in der interkulturellen Arbeit, da ihr Zielpublikum nie homogen war, sondern immer vielfältig. Dennoch werden angesichts der aktuellen Zuwanderung verstärkt Erwartungen an die Kinder- und Jugendtheater herangetragen, integrativ zu arbeiten und sich an einer auch pädagogisch besetzten „Werteerziehung“ zu beteiligen. (Westwind 2016)

Um den Diskurs der oben angeführten Debatte zu ergänzen und mit einem Input von außen zu bereichern, referierte der Erziehungswissenschaftler Max Fuchs, der bis 2013 Direktor der Akademie Remscheid und Präsident des Deutschen Kulturrates war. Sein Impuls diente als Einführung in das gemeinsame Gespräch. Im anschließenden Gespräch sollten laut Veranstalter die eigenen kulturpolitischen Haltungen und künstlerischen Arbeitsweisen gemeinsam besprochen, diskutiert und reflektiert werden.

Alle kulturellen Prozesse entwickeln sich ständig weiter. Aus Angst vor Veränderungen gab es in der vergangenen Zeit immer wieder Versuche, neue Innovationen zu verhindern oder die Geschichte ruhig zu stellen. Kultur ist jedoch immer dynamisch. Wer bringt den Begriff ein? Warum verwendet man den Begriff? (Eine Teilnehmer_in)

Es geht darum, Hürden abzubauen und persönliche Begegnung zu schaffen. (Eine Teilnehmer_in)

Was sind die Realitäten? Das ist unsere Gesellschaft und die sehen wir nicht nur im Spielplan, sondern auch im Haus. (Eine Teilnehmer_in)

Der Begriff „Leitkultur“ steht im deutschen Grundgesetz und erfährt von vielen Menschen eine emotionale Zuwendung. Er steht für die deutsche Kultur und ist damit ein besetzter Begriff, besetzt von Werten, Bildern, Verhaltensweisen und Regeln. Dies definiert ihn zu einem Maßstab kultureller Orientierung und führt gleichzeitig zu einer psychologischen Disposition, einer überzogenen Vorstellung von Integration. Es gibt kein effektiveres Mittel, das Menschen voneinander trennt, als ästhetische Differenzen. Dabei liegt die Herausforderung in den Künsten, in der Verbindung von Menschen und einer Identifikation mit ästhetischen Präferenzen. Künste sind das Werkzeug für Machtpositionen. In Deutschland verlagern sich politische Probleme in die Pädagogik oder in die Kunst und verlieren somit ihre politische Relevanz. Sie werden zu abgrenzbaren Projekten und Maßnahmen. Das Recht auf kulturelle Teilhabe ist nicht sekundär, wenn man von Mensch-Sein, von mehr als nur dem Überleben spricht. Dennoch ist die Tendenz, die eigene Kompetenz zu überschreiten und der Trend in pädagogischen und künstlerischen Arbeitskontexten ist die ästhetische Bildung in Form einer therapeutischen Maßnahme. Die Grenze zur Therapie sollte gewahrt werden. Politische Probleme müssen politisch gelöst werden.

Wir sind nicht dein nächstes Kunstprojekt – 01.04.2016

Tania Canas, Arts Director der australischen Organisation RISE, hat eine Zehn-Punkte-Liste für Künstler_Innen verfasst, die Projekte mit Geflüchteten durchführen möchten. Der Ausgangspunkt dieser Liste war laut Canas eine große Anzahl von Künstler_Innen, die auf der Suche nach Teilnehmer_Innen für ihre Projekte auf die Organisation zugekommen seien. RISE ist die erste Organisation von Geflüchteten, Überlebenden, Asylsuchenden und ehemals Festgehaltenen in Australien, die sich um deren Belange kümmert. Canas beschreibt, wie Künstler_Innen „die menschliche Seite der Geschichte“ hervorheben wollen, oftmals aber ein begrenztes Verständnis ihrer eigenen Objektivität, Voreingenommenheit und Privilegien gezeigt hätten.

  1. Prozess, nicht Produkt. Wir sind keine Ressource, die sich in dein nächstes Projekt einspeisen lässt. Du magst in Deiner speziellen Kunst talentiert sein, aber glaube nicht, dass dies automatisch zu einem ethischen, verantwortungsvollen und selbstbestimmten Prozess führt. Beschäftige Dich mit der Entwicklungsdynamik von Gruppen, aber bedenke auch, dass dies keine absolut belastbare Methode ist. Wem und welchen Institutionen nützt dieser Austausch?
  2. Hinterfrage deine Absichten kritisch. Unser Kampf ist keine Chance für dich als KünstlerIn, und unsere Körper sind keine Währung, mit der du deine Karriere befördern kannst. Statt dich nur auf das „Andere“ zu konzentrieren („wo finde ich Geflüchtete“…usw.), unterziehe deine eigenen Absichten einer kritischen, reflexiven Analyse. Was ist deine Motivation, zu diesem bestimmten Thema zu arbeiten? Und warum gerade jetzt?
  3. Sei dir deiner eigenen Privilegien bewusst. Wo bist du voreingenommen, und welche Absichten, selbst wenn du sie für „gut“ hältst, hegst du? Welche soziale Position (und Macht) bringst du ein? Sei dir bewusst, wie viel Raum du einnimmst. Mach dir klar, wann du einen Schritt zurück treten musst.
  4. Teilhabe ist nicht immer fortschrittlich oder bestärkend. Dein Projekt mag Elemente von Partizipation haben, aber sei dir bewusst, dass dies auch einschränkend, alibi-mäßig und herablassend wirken kann. Deine Forderung an die Community, ihre Geschichten zu teilen, könnte uns auch schwächen.
  5. Welche Rahmenbedingungen hast du für unsere Partizipation aufgestellt? Welche Machtverhältnisse verstärkst du mit diesen Bedingungen? Welche Beziehungen stellst Du her? (z.B. InformantIn vs. ExpertIn; Botschaft vs. BotschafterIn)
  6. Präsentation gegen Repräsentation. Kenne und beachte den Unterschied!
  7. Nur weil du das sagst, ist dies kein geschützter Raum. Dazu bedarf es langer Basisarbeit, Solidarität und Hingabe.
  8. Erwarte keine Dankbarkeit von uns. Wir sind nicht dein nächstes interessantes Kunstprojekt. Wir sitzen hier nicht rum und warten darauf, dass unser Kampf von deinem persönlichen Bewusstsein anerkannt oder durch deine künstlerische Praxis ins Licht gerückt wird.
  9. Reduziere uns nicht auf ein Thema. Wir sind Menschen mit Erfahrungen, Wissen und Fähigkeiten. Wir können über viele Dinge sprechen; reduziere uns nicht auf ein Narrativ.
  10. Informiere Dich. Kenne die bereits geleistete Solidaritätsarbeit. Beachte die feinen Unterschiede zwischen Organisationen und Projekten. Nur weil wir mit derselben Gemeinschaft arbeiten, heißt das nicht, dass wir auf dieselbe Art und Weise arbeiten.
  11. Kunst ist nicht neutral. Unsere Gemeinschaft wird politisiert, und jedes Kunstwerk, das mit bzw. von uns gemacht wird, ist inhärent politisch. Wenn du mit unserer Gemeinschaft arbeiten willst, musst du dir im Klaren darüber sein, dass deine künstlerische Praxis nicht neutral sein kann.

(http://www.kultur-oeffnet welten.de/positionen/position_1536.html)

Im Anschluss an die Einführung von Max Fuchs folgte ein Austausch der anwesenden Personen mit dem Stand der Dinge an den einzelnen Theatern. Welche Wünsche gibt es? Gibt es Hindernisse? Welche Erwartungen gibt es an die Theater auf kommunaler Ebene? Dabei dreht sich der Diskussionspunkt der Gruppe vor allem darum, sich als selbstwirksam zu erfahren und dabei nicht den Fakt zu verleugnen, dass man einen persönlichen Nutzen davon hat, den Fokus auch auf andere Zielgruppen zu setzen und die Chance der Zusammenarbeit zu nutzen.

KLUB KIRSCHROT
KLUB KIRSCHROT entwickeln in kollektiven Arbeitsprozessen Theaterstücke für ein junges Publikum. Das WESTWIND 2017 dokumentiert KLUB KIRSCHROT als WESTWIND-Blog Team bestehend aus Rosi Böhm, Kristin Grün, Sarah Kramer und Matthias Linnemann.

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