Manipulation in der Ritterstraße (Aktionisten) – Teil 1

Die Trilogie: Warum kommt keine*r?

Wir schreiben den 25.04.15 – es ist kurz vor 15 Uhr. Ich befinde mich in Düsseldorf auf dem Weg zur Offenen Tür Ritterstraße (JFE). Meine Mission: Die Dokumentation der Workshops in Vorbereitung auf das WESTWIND Festival. Auf dem Programm stehen die Theaterstücke: Stones vom Grenzland Theater Aachen und Wilhelm Tell vom Theater an der Ruhr.

Ich bin spät dran. Nächste Haltestelle: „Tonhalle“, schallt es durch die U-Bahn. Mein schlechter Orientierungssinn macht mir zu schaffen. Keinen Plan, wo es lang geht. Fünf Minuten später und unter meinen Füßen spüre ich Kopfsteinpflaster – sehr gut, das heißt, ich bin in der Altstadt. Schon kreuze ich die Ritterstraße, „geil“ denke ich, das war problemlos zu finden. Freudig trete ich ein.

Meine Kolleg*innen sind bereits vor Ort und stellen mich einer für unser Projekt zuständigen Mitarbeiterin vor.

In meiner Erinnerung spielte sich dieser Dialog wie folgt ab:

Ich: „Hey, hi.. ich bin Sarah, ich gehör hier dazu, ich mache die Dokume…“.

Mitarbeiterin: „Hi, schön das du da bist, komm rein, schläfst du heute auch hier? Wir grillen noch, das wird bestimmt nett. Bist du Vegetarierin? Wo kommst du denn her? Hier ist die Sitzecke. Wenn du auf dem Sofa sitzt, darfst du aber nicht essen und trinken. Übrigens – bei uns gibt es keine Cola, nur Fritz Cola, denn Coca-Cola ist rechts, das wissen aber nicht so viele.“

Ich: „Ne, das wusste ich auch nicht!“ – (IkS = Innere kritische Stimme: Gut, dass ich sowieso keine Cola trinke, sonst würd ich mich jetzt echt scheiße fühlen.) „Äh, also ich hab jetzt gar nichts zum Pennen dabei, ich überleg mir das noch. O.K. !?“ – (IkS: Scheiße, ich will aber auch keine Spießerin sein.) „Lust hab ich schon! Sehr nett, das Angebot. Also ich probiere mal den Schaukelstuhl, der sieht sehr bequem aus.“

Ich nehme im Schaukelstuhl Platz und warte. Ich warte. Bis jetzt ist noch keine*r von den Jugendlichen gekommen!? Auf dem Tisch in der Sitzecke liegen die Musikinstrumente für den Workshop bereit. Meine Kolleg*innen scheinen gut vorbereitet zu sein. Eine DVD und ein Kurzreferat über das „Zentrum für politische Schönheit“ sind am Start. Ich gucke auf meine Armbanduhr. 17 Uhr …, so langsam sollte es aber mal losgehen! Womit kann ich sinnvoll meine Zeit verbringen? Ja, genau: Erst mal ein Info-Heft lesen. Es ist ja auch wichtig zu wissen, was die Einrichtungen anbieten und in welchem Kontext ich mich hier befinde.

Ich lese folgendes:

Kinder- und Jugendkultur/ kulturelle Bildung

Die Besucherinnen und Besucher der Offenen Tür Ritterstraße werden durch den Umgang mit verschiedenen kreativen Materialien gefördert. Kulturelle und gestalterische Bildung ist eine Möglichkeit zu Selbstbildung und -findung. Sie vermittelt Kompetenz im persönlichen, sozialen und handwerklichen Bereich. Über den persönlichen Ausdruck hinaus werden Problemlösungsmöglichkeiten in der Umsetzung des jeweiligen Projektes gefunden. Es ist die spielerisch gestalterische Auseinandersetzung mit sozialen oder kulturellen Themen, die für Kinder und Jugendliche relevant sind. Themen sind zum Beispiel „ihr seid die Erfinder dieser Zeit“, Bau von Spielbrunnen.

Ich denke nach… Das klingt durchdacht, bisschen anstrengend zu lesen, aber das sind ja (bis auf den Spielbrunnen) im Grunde auch Themen unserer Vermittlung: Selbstbildung und –findung, Auseinandersetzung mit sozialen oder kulturellen Themen. Wir ziehen also an einem Strang. Das ist doch gut zu wissen. Ich frage mich warum noch niemand gekommen ist. Von meinen Kolleg*innen weiß ich, dass es beim Vortreffen 10 Interessent*innen gab, die alle sehr begeistert schienen. Unser „Buddy“ in Form der Mitarbeiterin loggt sich bei Facebook ein.

Mitarbeiterin: „So kann ich die Jugendlichen erreichen und nochmal auf heute hinweisen. Das läuft hier alles sehr spontan. Dann sagt der eine Mensch dem anderen Bescheid. Ich hab gerade gehört das ein paar Leute heute nicht kommen können, weil sie zu einer Blockade gefahren sind. Macht Euch keine Gedanken – uns geht das auch so. Ihr müsst eure Pläne darauf einstellen. Das Angebot muss offen und flexibel sein. Jede*r kann jederzeit dazu kommen oder wegbleiben und die eigenen Ideen einbringen – alles ohne Zwang, anders funktioniert das hier nicht.“

Ich stelle mir die Frage, ob der Rahmen, den wir für die Vermittlung gewählt haben, der richtige ist? Wir haben Termine festgelegt und davon können (wollen) wir noch nicht abweichen. Wir sind gut vorbereitet und wissen, dass unser Angebot Qualität hat und kontinuierlich aufeinander aufbaut. Wo ist das Problem? Warum kommt keine*r? Das schöne an den Aktionisten ist ja gerade, dass die Jugendlichen selbst entscheiden können, ob sie kommen oder nicht. Aber ohne Teilnehmer*innen läuft halt nichts. Wenigstens haben wir unsere Buddy, die für uns den Kontakt zu den Jugendlichen aufnimmt. Ohne sie würde erst recht niemand auftauchen, so meine Vermutung.

Plötzlich werde ich aus meinen Gedanken gerissen, schnell lege ich das Info-Heft zur Seite. Jemand tritt ein. Endlich, eine Erste, nein sogar zwei Teilnehmer*innen. Ich freu mich richtig. Na, dann kann es ja losgehen! Ich zücke mein schwarzes Notizbuch. (IkS: Das ist aber jetzt hart, das kann ich doch nicht machen, zwei Teilnehmer*innen, ich bin doch keine Voyeurin, außerdem beeinflusse ich damit die Situation.)

Ich: „Hey, ich bin Sarah, ich gehör hier dazu, ich mach die Dokume…, ich meinte, ich mach hier den Workshop mit.“

Teilnehmer*in: „Hey, cool. Voll schön, ja. Vielleicht, lass mal eine zusammen rauchen.“

Ich: „Also, ich versuch eigentlich gerade aufzuhören (IkS: Spießeriiiin!). Ja, o.k ähm, hast du Drehzeug?“

Ich bin überrascht wie schnell ich von der Beobachterin zur Teilnehmerin geworden bin. Irgendwie komme ich mir komisch dabei vor. Dennoch will ich mich der Situation nicht entziehen, vielleicht kann ich auch aus der Sicht einer Teilnehmer*in dokumentieren?

Hauptsache es geht endlich los!

Hier geht’s weiter zu Teil 2

Sarah Kramer
Sarah Kramer arbeitet Theaterpädagogin am THEATER AN DER PARKAUE und lebt in Berlin. Ihr Studium absolvierte sie am Institut für Theaterpädagogik (HS Osnabrück). Sarah leitet Theatergruppen und Projekte für Jugendliche, Kinder und Erwachsene.

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