Loosing gravity – Bericht über die Performance „Murikamification“ sowie den Workshop „written with the body“ der Gruppe Arch 8

Das Ensemble Arch 8 aus Utrecht bot unter der Leitung von Erik Kaiel eine Performance im öffentlichen Raum. Fünf Mitglieder bespielten das Zechengelände rund um das Consol Theater Gelsenkirchen sowie Gelsenkirchens und Hernes Innenstädte an drei verschiedenen Tagen. Die Vorstellung dauerte jeweils eine Stunde.

Vier Darsteller*innen vermischten Bewegungselemente aus Tanz und Akrobatik. Sie spielten das Publikum direkt an, nahmen Augenkontakt auf, bewegten sich durch die Reihen, berührten einige Zuschauer*innen. Begleitet von elektronischer Musik wurden Objekte erklommen, Hindernisse übersprungen. Die Akteure erzeugten ästhetische Standbilder, hingen von Gebäuden herab, standen kopfüber auf Treppengeländern oder im Fahrstuhl. Ruhigen Momenten folgten athletische Entladungen, wenn die Gruppe plötzlich im Vollsprint zum nächsten Objekt rannte. Ein fünfter Mitspieler, bekleidet mit Bermudashorts, Fischerhut, den Blick permanent auf eine Landkarte gerichtet, durchquerte unregelmäßig die Szenerie. Dieser wurde zum Beispiel auf einer Bank sitzend angespielt, reagierte jedoch nicht auf die Anderen.

Die Zuschauer*innen wurden zusammengeführt und liefen an den Händen haltend weiter. Das Ensemble führte die Show je nach Spielort zu einem unterschiedlichen Ende, so verschwanden sie auf dem Consol – Gelände hinter der Zeche oder bestiegen in Gelsenkirchen ein Vordach, um dort für einen Moment aus dem Sichtfeld zu verschwinden.

Arch 8 ließ sich laut eigener Aussage von den Romanen Haruki Murakamis inspirieren. In diesen werden surreale Welten erschaffen, in welchen die bestehenden physikalischen Gesetze keinen Bestand haben. So hat der Zuschauer auch bei „Murakamification“ den Eindruck, die Schwerkraft müsse neu definiert werden. Durch die Interaktion mit der Umwelt hat der Betrachter den Eindruck, die bespielten Objekte werden zu Spielpartnern. Die alltägliche Umgebung erhält eine Lebendigkeit. Durch die Partizipation der Zuschauer*innen entsteht das Gefühl, ein Teil eines großen Ganzen zu sein.

 

Workshop – Written with the body

Der Workshop „written with the body“ wurde auf dem großen Platz zwischen dem Theater und den Musikproberäumen von der Gruppe Arch 8 durchgeführt. Unter Anleitung von drei Ensemblemitgliedern erhielten 25 Teilnehmer*innen einen 90-minütigen Einblick in die Grundprinzipien ihrer Arbeit.

Als Aufwärmübung lief die Gruppe über den Platz, erforschte die Umgebung, bemalte diese in Gedanken. Im Anschluss wurde eine Übung durchgeführt, bei der Bewegungen zuerst einem bestimmten Körperteil folgen. So entstanden beispielsweise Bewegungsbilder, bei denen die rechte Hand die Bewegung führt, der Rest des Körpers folgt. Im Anschluss wählte jede*r für sich zwei Körperteile aus, die entgegengesetzten Bewegungsimpulsen folgten. Nachdem jede*r drei verschiedene Kombinationen aus diesem Bewegungsmuster vollführte, konnte man dem Impuls zu einem Standbild folgen. Die Teilnehmer*innen bewegten sich so lange nicht, bis auch der/ die letzte zu einem Ende gekommen war und verharrte noch einem Moment in diesem Bild.

Zur nächsten Übung stellten sich die Teilnehmer*innen mit Gesicht frontal zu einer Gebäudewand auf. Mit wechselndem Abstand zu dieser konnte man sich nach vorne fallen lassen und auffangen, um so Kontakt herzustellen und ein Gefühl zu bekommen, wie das eigene Gewicht in Zusammenspiel mit der Wand wirkt.

Im Folgenden wurden die drei Grundprinzipien der Interaktion mit Objekten am Beispiel einer Wand erklärt:

  1. Sliding: Unter sliding, auch painting genannt, versteht man die Bewegungsinteraktion mit einem Objekt. In diesem Fall wurde von allen Teilnehmer*innen die breite Gebäudewand mit dem Körper erkundet. Man stellt sich vor, der Körper sei ein großer Pinsel, welcher komplett oder mit einzelnen Teilen in rutschenden Bewegungen die Wand imaginativ bemalt.
  2. Rolling: Dieser Begriff thematisiert die Seitwärtsbewegung an der Wand entlang. Dabei ist zu beachten, dass ein ständiger Kontakt zur Wand gehalten wird und die Bewegungen möglichst flüssig ablaufen. Die Teilnehmer*innen rollen sich nun in unterschiedlichem Abstand zur Wand von rechts nach links.
  3. Pivoting: Diese Bezeichnung umschreibt eine komplexe Bewegungsabfolge, bei welcher sich die Teilnehmer*innen nun frei improvisierend an der Wand entlang bewegen.

Sliding und rolling können in einander übergehend genutzt werden. Der eigene Körper ist das Gravitationszentrum, die Teilnehmer*innen tauchen unter den anderen oder überspringen die Anderen. Man stelle sich vor, die Wand sei der Boden, über den man rollt, sich abstößt, über den man gleitet.

Big Wall: Eine Person lehnt sich an die Wand, alle anderen bewegen sich an der Wand entlang. Die bereits stehende Person wird als Teil der Wand bespielt. Mit der gleichen Intensität, mit welcher man sein Gewicht an die Wand abgibt, baut sich jede Person in vertikaler Richtung an die Andere und lässt so eine weitere Wand entstehen.

Wall Jump: Eine Person läuft seitlich auf die Wand zu, springt an diese heran und stößt sich mit Blick in die gesprungene Richtung im gleichen Ausfallwinkel von dieser ab. Diese Übung wird vereinzelt auch mit einer an der Wand hockenden Person durchgeführt, welche dann übersprungen wurde. Besonders wichtig ist es, nicht mit durchgedrückten Beinen auf die Wand zu springen. Auch hier hilft die Vorstellung, die Wand sei in Wirklichkeit der Boden.

Nun wurde eine Partner-Kontaktimprovisation angeleitet, bei welcher die Teilnehmer*innen sich gegenseitig als Spielobjekt nutzen konnten. Zuerst gab eine Person das Gegengewicht, die zweite bewegte sich um sie herum. Danach wurde die Improvisation freigegeben, die Partner*innen konnten sich frei auf dem Platz bewegen.

Zum Abschluss fassten sich die Teilnehmer*innen in Vierergruppen an den Händen, die folgende Übung nannte sich „climb through and twist“. Der Handkontakt wurde nicht unterbrochen, die Probanden blieben ständig in Bewegung, stiegen über die Arme der Anderen, drehten sich und tauchten darunter durch.

 

Über Arch 8

Arch 8 ist eine Performing Group aus den Niederlanden. Erik Kail, Choreograph und Initiator dieser Gruppe, entwickelte die Idee, den Menschen unbeachtete Orte in ihrer unmittelbaren Umgebung bewusst erlebbar zu machen.

„The way like a blind person reads words on a page, your body is reading the landscape“ (Erik Kail) Das war einer der Grundideen von Arch 8. Diese entwickelte sich durch das Zusammenspiel vieler kreativer Köpfe immer weiter. Erik sagt dazu, dass die Gruppe wie eine Jazz Band funktionieren soll – jede Person bringt Ideen, Erfahrungen und Fähigkeiten mit. Die Performance, wie wir sie auch am Gelände des Consoltheater sowie in der Gelsenkirchener Innenstadt erleben konnten, ist nicht immer dieselbe, je nachdem welche Konstellation gerade vorherrscht – die Persönlichkeit der Performer*innen ist wichtig.

Sie suchen Orte, die alt und vergessen sind: Einen kleinen Garten, der nicht an der Hauptstraße liegt oder eine Parkbank an denen Menschen vielleicht hundert Mal vorbeirennen ohne zu wissen, dass hier eine Parkbank steht. Sie wollen die Leute auf eine Reise mitnehmen – neue Orte in ihrer eigenen Stadt zu entdecken, sie aus neuen Blickwinkel sehen zu lassen. Orte an denen du täglich mit Kopfhörern vorbeiläufst, ohne zu wissen, was rundherum um dich passiert. Arch 8 will Menschen dazu bringen aufzuschauen, ihre Umgebung bewusst wahrzunehmen und Magie in die Straßen, auf denen wir laufen, zu bringen.

Jede Performance ist mit Risiko verbunden. Erik vertraut seinen Performer_innen, dass sie ihre Grenzen einschätzen können. Oft sieht etwas gefährlicher aus, als es eigentlich ist. „Du vertraust deinem Instinkt, dich selbst nicht in Gefahr zu bringen.“(Erik Kail).

Doch all dies bedeutet nicht nur künstlerische Vorbereitung, Monate im Voraus müssen sie die Orte finden, Punkte festlegen und die Bescheinigungen der Gemeinde und Polizei einholen. „Business is to make it possible.“ (Erik Kail)

Corinna Riesz und Andre Voss, Studierende am Institut für Theaterpädagogik der Hochschule Osnabrück, Standort Lingen

 

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