Nachgedanken – Die Next Generation zu eigensinniger Teilhabe

[…] Während des WESTWINDs lag mein Augenmerk auf dem Thema tatsächliche Teilhabe – wo treffen Partizipation und Eigensinn aufeinander?


Im Kontext tatsächlicher Teilhabe definiere ich Eigensinn, im Gegensatz zum umgangssprachlichen Gebrauch, zunächst als etwas Erstrebenswertes, Positives und dennoch etwas nicht greifbar Ambivalentes, das sich ebenso ins Negative kehren kann: Eigensinnige Menschen handeln bewusst durch Spüren und Folgen der eigenen Sinne, vielleicht sogar bis hin zu einer Auseinandersetzung mit dem Sinn des Lebens. Es bleibt jedoch nur dann beim Eigensinn, wenn dabei der Gemeinsinn nicht außer Acht gelassen wird. Andernfalls kann Eigensinn schnell zu Egoismus werden. Die Fragestellung, die ich bearbeite, beschäftigt sich damit, wie Menschen – im Fall meiner Abschlussarbeit Grundschulkinder – an Projekten und Produktionen eigensinnig teilhaben können. Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit sie sich eingeladen fühlen, Themen auf ihre individuelle (und auch kollektive) Art und Weise anzugehen und sich gleichzeitig der Möglichkeit bewusst sind, dass sie diese Einladung auch ausschlagen und nach ihren Wünschen und Bedürfnissen umgestalten können.

Bei fast allen eingeladenen Produktionen waren (mehr oder weniger große) partizipative Momente enthalten: Die Performance „Niet Drummen“ lädt das Publikum beispielsweise auf eine Entdeckungsreise in einem selbstgebauten „Maschinenraum-Zelt“ ein. Es eröffnet sich ein Raum der neugierig darauf macht, ihn zu entdecken, darin zu spielen und auszuprobieren. „Die Geschichte eines langen Tages“ empfängt das Publikum ebenfalls in einer eigen geschaffenen Welt, begrüßt dieses persönlich und lässt es dort ganz nah und unmittelbar an der Geschichte von Avi, Iva und Plug teilhaben – welche am Ende mindestens auch die Geschichte von drei Zuschauer*innen wird, indem ihre Namen mit in die Erzählung aufgenommen werden. Die Tanzperformance „Meins“ zeigt zunächst eine Tanzshow, später erlernt das Publikum unterschiedliche Rhythmen und tanzt schließlich gemeinsam mit den Performer*innen auf der Bühne. Das Thema wird zum Format: Die Superheld*innen-Bewegungen werden kollektiviert und gemeinsam wird eine Party gefeiert: „Meins ist eins!“. „umBruch“ teilt sich mit seinem Publikum den Bühnenraum. Alle dürfen überall sitzen und können sich zu jedem Zeitpunkt überlegen, ob sie näher rücken, Platz machen oder vielleicht doch in sicherem Abstand sitzen wollen. Außerdem konnte ich gerade in den performativen Momenten für mich mitspielen und mir beispielsweise meine Antworten auf die gestellten Fragen selbst überlegen. Die Macher*innen von „All about Nothing – Ein Stück über Kinderarmut“ haben im Vorfeld der Inszenierung Interviews mit Kindern und Jugendlichen geführt, welche zu einem wichtigen Teil des Stücks wurden.

Partizipative Momente, in denen das Publikum aktiv zur Mitgestaltung eingeladen wurde, gab es vor allem bei den Stücken für jüngeres Publikum. Positiv sind mir die „Mitmach“-Stücke immer dann aufgefallen, wenn es klare Spielregeln gab, wenn ich als Zuschauerin verstanden habe, zu was ich geladen bin und einschätzen konnte, ob ich ernst genommen werde und ob es wirklich zählt, wie ich mich verhalte. Dann konnte ich mich einlassen und vielleicht sogar positionieren und mitspielen. Was will ich dazu sagen? Wo will ich eingreifen? Wann distanziere ich mich? […]

Vielleicht können die Schlagwörter, auf die wir als Next Generation in den gemeinsamen Gesprächen immer wieder gestoßen sind und die unserem Manifest zugrunde liegen, auch auf den Themenbereich der eigensinnigen Teilhabe übertragen werden:
Wenn ich unter hoher Risikobereitschaft mit meinem Publikum eine Beziehung auf Augenhöhe anstrebe, mich zuwende, dabei versuche möglichst transparent und solidarisch zu agieren, engagiert Vielstimmigkeit auf der Bühne zeige, mir dabei meiner Verantwortung, die ich als Künstlerin habe, stets bewusst bin und immer wieder den Blickwinkel wechsle, kann tatsächliche Teilhabe ermöglicht werden. […]

Auszug aus dem Reflexionsbericht der Next Generation Stipendiatin Laura Mirjam Walter.

KLUB KIRSCHROT
KLUB KIRSCHROT entwickeln in kollektiven Arbeitsprozessen Theaterstücke für ein junges Publikum. Das WESTWIND 2017 dokumentiert KLUB KIRSCHROT als WESTWIND-Blog Team bestehend aus Rosi Böhm, Kristin Grün, Sarah Kramer und Matthias Linnemann.

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