„for us all to fit in“ / Rezensionen zu „bastard!“ (duda paiva company)

Hier finden sich Rezensionen und Kommentare der Festivalreporter zum Eröffnungsstück „bastard!“ der duda paiva company. Der Eintrag wird im Laufe des Tages noch geupdatet.


Hallo?
. . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . .HALLO!
Ist da jemand?
Ich habe wirklich keine Ahnung, wie ich hier gelandet bin.
Sehen Sie, ich gehöre hier nicht hin.
ICH nicht. Das muss ein Irrtum sein.
Klar hört man immer wieder von diesen verkrachten Existenzen, die meinen das Künstlerleben sei etwas für sie. Aber das sind andere. Nicht ICH!
Versteht mich hier überhaupt irgendjemand?
ICH bin erfolgreich und ja, ich kann von meiner Kunst auch leben. Schließlich stehe ich gerade vor Ihnen und das sollte doch wohl Beweis genug- moment, ich lebe doch hoffentlich noch?
. . . . .
Haben Sie mich verstanden? ERFOLGREICH, e r f o l g r e i c h! ICH! Ich gehöre hier nicht hin.
Sie müssen mir helfen – ich will doch nur zurück zu meinem Leben.
Ich gehöre nicht in

THIS –

ist das, wovor wir uns alle fürchten.
Fürchten müssen.
Denn noch gibt es sie nicht, diese bessere, diese perfekte Welt
„for us all to fit in“.
Denn es gibt sie ja immer, die Verlierer, die ganz am Ende angekommen sind –
ob selbst verschuldet oder als Opfer des Systems.
Es gibt sie immer, die Verlierer.
Und zum Glück sind es immer die anderen. Glück gehabt!Das Stück lässt mich kurz an meinen eigenen, künstlerischen Zukunftsplänen zweifeln.
Zweifel, die ich sogleich wieder verwerfe, denn hier handelt es sich ja schließlich nur um eine Geschichte. Oder?
Trotzdem hätte auch ich persönlich nichts gegen diese bessere Welt, in der jeder seinen Platz hat und es kein böses Erwachen in dieser allgegenwärtigen Endstation gäbe.
Doch bevor ich gleich noch mit dem Thema „bedingungsloses Grundkeinkommen“ anfange, lieber noch ein paar Worte zum Stück, dem Eröffnungsstück des 31. westwind-Festivals, „bastard!“ der Duda Paiva Company:

Unglaublich in was für eine fantastisch-verdrehte Welt uns der Performer, Tänzer, Schau-, und Puppenspieler Duda Paiva da mitgenommen hat.
Gekonnt ließ der Darsteller keine Sekunde lang auch nur den geringsten Zweifel daran aufkommen, dass die lebensgroßen Puppen, mit denen er auf der Bühne interagierte, nicht nur lebensgroß, sondern auch wirklich lebendige und fühlende Wesen waren.
Eine perfekte Illusion, der man sich gerne hingab und dabei fast vergaß, dass all diese schaurig-schönen Charaktere, denen Duda Paiva während seines Aufenthaltes im THIS begegnete, nicht wirklich lebten – zumindestens nicht nachdem, was man im herkömmlichen Sinn unter „leben“ versteht.
Heute Abend bot sich uns im Jungen Schauspielhaus zu Düsseldorf jedenfalls ein atemberaubendes Spiel, das einem nahe ging – sei es durch grotestke Bilder von toten Embryos in Müllsäcken oder dem verzweifelten, und von vornherein zum Scheitern verurteilten Versuch, sich selbst zu entkommen.
Eigentlich hatte ich mir ja, als gewissenhafter Festival-Reporter, während der Vorstellung einige Notizen machen wollen – wozu ich dann im Endeffekt nicht kam:
Viel zu gebannt war ich von Duda Paivas Spiel und seiner unglaublichen Fähigkeit, eigentlich lebloser Materie Leben, Herz und Seele einzuhauchen und eine ganz besondere Atmosphäre zu erschaffen.

Ein sehenswerter und gelungener Auftakt zum 31. westwind-Festival, der auch von dem Publikum mit reichlich Applaus und Standing Ovations gewürdigt wurde.

 – Finn Cam


„Bastard!“ ist das Stück des niederländischen Schauspielers Duda Paiva, welches bei der Eröffnungsveranstaltung des Westwind Festivals aufgeführt wurde.

An dieser Stelle kommt nun eigentlich eine Zusammenfassung des Plots, aber danach würden Sie auch nicht wirklich mehr über das Stück wissen als vorher. Wenn ich Ihnen die bedrückende Atmosphäre beschreiben würde, die erzeugt wird durch das Bühnenbild, welches nur aus Müllbergen und Plastiktüten besteht; die verwaschenen Bilder und Videos, die im Hintergrund auf zwei Leinenwände geworfen werden; das blaue, trübe Licht, in welches die ganze Vorstellung getaucht ist, dann würden sie schon eher verstehen, worum es in diesem Stück geht.

Aber, um die Form zu wahren, fasse ich den Plot trotzdem zusammen: Der namenlose Protagonist erwacht in einem der Müllberge, eingeschlossen in einem weggeworfenen Zelt. Nachdem er sich verwirrt und etwas erschlagen von der ganzen Situation aus dem Zelt befreit, bemerkt er, dass er anstatt seines rechten Beines einen Pferdehals mit Kopf besitzt, welcher auf Französisch, passend zur Hintergrundmusik, singt. Ähm, ja… das lasse ich jetzt vielleicht einfach mal unkommentiert. Nachdem er sich irgendwie von dem Pferd befreit hat, irrt er herum, auf der Suche nach irgendeiner Menschenseele, die er dann auch findet, in Form von Clementine. Clementine ist eine ehemalige Tänzerin, die allerdings keine Beine mehr hat und nun in einem Metallrahmen hängt. Der Protagonist trifft bei ihr auch auf Bastard, einen alten, verwirrten Mann, der nur mit einem Slip bekleidet ist und kaum mehr als ein paar Worte herausbringen kann. Sie beide passen wundervoll zum Rest der Kulisse.

Der Protagonist ist verständlicherweise etwas verstört und möchte so schnell wie möglich von diesem Ort verschwinden. Clementine und Bastard erklären sich bereit zu helfen, unter der Bedingung, dass er vorher Clementines Katze Rumba findet und ihnen Tee kocht…

Hm, das hört sich jetzt erstmal nicht so wahnsinnig spannend an, aber das ist auch nur die Hälfte des Plots. Die andere Hälfte findet komplett im Kopf des Zuschauers statt, denn das Stück lässt unglaublich viele Fragen offen. Es wird nichts erklärt, und Clementines und Bastards Äußerungen werfen nur noch mehr Fragen auf, als man vorher sowieso schon hatte.

Vielleicht sollte ich auch noch erwähnen, dass Duda Paiva, welcher den Protagonisten spielt, der einzige Schauspieler ist. Bastard, Clementine und alle anderen sich bewegenden Dinge sind lebensgroße Puppen, die parallel von Paiva gespielt und gesprochen werden.

Die Puppen sind unglaublich gut gemacht: Sie sind hässlich und schmutzig und man würde ihnen nicht gerne nachts auf der Straße begegnen, geschweige denn sie anfassen.

Obwohl sie so abstoßend und nur Puppen sind, gibt es unglaublich berührende und emotionale Szenen, bei denen den Puppen wahnsinnig menschliche Gesichtsausdrücke entlockt werden. Irgendwann im Verlauf des Stückes gerät der Fakt, dass es nur Puppen sind in den Hinterkopf und man nimmt sie als gleichberechtigte Charaktere wahr.

An einigen Stellen gibt es Slapstick, der irgendwie etwas absurd und deplatziert in dieser Szenerie wirkt, aber er ist wohl ganz hilfreich für den Zuschauer, damit er nicht auch in Verzweiflung versinkt.

Dieses Stück ist definitiv kein Kinderstück, dafür ist es erstens viel zu düster, aber zweitens auch viel zu komplex. Es gibt am Ende keine Auflösung, man weiß nicht, ob das jetzt eine Zukunfts-Dystopie war, oder ob der Protagonist sich selbst auf Clementine und Bastard projiziert, oder ob es etwas ganz anderes ist, was sich nicht logisch ohne weiteres erklären lässt.

Die erzeugte Stimmung ist Wahnsinn, die Geschichte lässt einen fast etwas erschlagen zurück. Der gesprochene Text ist zwar komplett auf Englisch, aber auf simpelstem Niveau, absolut verständlich für jeden.

Wenn es irgendwie möglich ist, sich dieses Stück anzusehen, sollte man dies auf jeden Fall tun.

– Ole Glitza

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