CATCH ME IF YOU CAN ODER DIE SACHE MIT DEM FRAGENSALAT:

#ey sag mal – wie fange ich dich ein?

#wo muss ich dich abholen?

#und wo fange ich an mich dir anzubiedern?

 

Eine volle Woche liegt hinter mir. Knallvoll. Eine Woche voll Austausch, Tatendrang und zu sammelnden Eindrücken. Voller Begegnungen und Gesprächen – im Wechselspiel zwischen lockerem Smalltalk, tiefgründigem Austausch, unerwarteten Impulsgebern und offen gesinnten Ratgebern. Lauschend beobachtend, begeisterungsvoll mitdenkend, kritikvergnügt reflektierend.

Das attestiert mir nicht nur mein noch von frischen Erinnerungen übersprudelndes Gedächtnis, sondern auch meine berstende Reisetasche, samt seitenreich angewachsenem Notizbuch.

Der angeforderte Reflexionsbericht. Das Beantworten einer Frage im Kontext des Erlebten.

Na, das kann ja nicht so schwer sein, denke ich mir. Bei so vielen Fragen, die wie wir Stipendiat*innen uns eingangs gegenseitig um die Ohren und auf die Pinnwände geworfen haben und wo die Suche nach befriedigenden Antworten uns sogar nächteweise vom Schlafen ferngehalten hatte.

Antworten auf Fragen auf einem Breitengrad von A wie Abstraktion (Wie weit darf man es hier denn eigentlich treiben?), über B wie Blatt vor dem Mund (Wie viel können wir Kindern denn eigentlich zuMUTen? Darf man auch mal bewusst Überfordern?) hin zu C wie Charisma (Wie hat die das eigentlich geschafft, diese beeindruckende Theatermacher*in da drüben? Traue ich mich sie anzusprechen?). Oder weiter zu F wie Faszination (Wie wecke ich diese bei Jung und Alt – und das im selben Stück?) oder P wie Partizipation und Politik (Welche Formen der Partizipation lassen sich entdecken und entwickeln? Und sag mal, wie politisch kann/darf/soll es sein?). Bis man über das Minimalismus-M, Kommunikations-K und Co schließlich bei Z wie Zeitgeist (Was ist das eigentlich, zeitgemäß?) landet. So allerhand Zündstoff für heiße Diskussionen war das.

Ich schmeiße mich also nochmal hinein ins persönliche Zeugengetümmel meiner Woche, auf der Suche nach der Frage und der Antwort, die es hier zu betrachten gilt. Ab durch Schmutzwäsche, Programmzettel, Brausetütchen und Visitenkarten, hinab zum Eingemachten: Über den Haufen geworfene Vorurteile, schwammige Nebenerkenntnisse und kernige Aha-Effekte, kluge Gesprächsfetzen und heiße Diskussionsbeiträge. Alteingesessene Drahtzieher*innen neben Meinungsforschenden und stillen Beobachter*innen. Eine Menge ferner Bekannter und ein paar keimende Freundschaften.

Ich wälze mein Notizbuch, lasse die eingefangenen Momente nochmal lebendig werden und auf meine im Nachhinein gewachsenen Erkenntnisse treffen. Ich versuche dabei die eine Frage, für die ich mich hier entscheiden soll, bewusst zu erhaschen. Und da kommt es mir auf einmal:

Ja, es ist diese Situation an sich – nämlich genau die Sache mit dem „einfangen“- die mich seit dem Festival besonders beschäftigt und der ich mich hier zumindest mal annähern möchte. Anders gesagt:

„CATCH ME IF YOU CAN!“

– das könnten sich doch auch so manche junge Zuschauende denken, die freiwillig und motiviert, oder leider teils auch verpflichtet und desinteressiert, ihren Weg ins Theater finden. Was ist bei solch einem Publikum wohl die beste Devise oder vielleicht eher die passende Strategie der Theaterschaffenden, um die jungen Zuschauenden wirklich zu erreichen, eine Beziehung herzustellen? Wie und wo ist Theater „cool“ und wo liegt dabei der schmale Grad zwischen sich einerseits attraktiv machen und andererseits sich schon anbiedern?

Im Rahmen des Festivals war die Verbindung von Kunst und Medien – Schauspiel, Video und Musik – als unverzichtbarer Teil aktueller Aufführungsformate nicht zu übersehen und schien eine große Beliebtheit beim jugendlichen Publikum zu erfahren. Gerade die Produktionen „Das unsichtbare Haus“, „Tigermilch“ „Co-Starring“ (alle drei Preisträger 2016) und auch „Antigone“ setzen auf die Einbindung dieser beiden Vermittlungskanäle Film und Musik. Sieht man sich die Shell-Jugendstudien der letzten Jahre an, so macht dies auch allemal Sinn, sind gerade diese zwei Bereiche in Umfragen an oberster Stelle, werden dort als ein, die Lebenswelt junger Menschen in höchstem Maße, prägender Teil betont. Setzt man sich als künstlerisches Ziel, bewusst an die Lebensrealität der Jugendlichen anzudocken, sie abzuholen, so trägt die Einbindung dieser vertrauten Elemente sicherlich zum Attraktivitätsgrad eines Theaterbesuchs bei.

Wobei – wirklich sicherlich? Gibt es da nicht auch noch Faktoren, oder bestimmte Zugangsformen die beachtet werden müssen? Welche und vor allem wie können wir Darstellungsformen wählen, die nicht nur als Mittel zum Zweck dienen sollen, die Gunst derjenigen zu gewinnen, die aktuell bereits die eigentlichen Profis im Umgang mit Medien und Formen der Präsentation sind? Wie kann man vermeiden Gefahr zu laufen, dass der Einsatz dieser Mittel “um jeden Preis“ stattfindet und daraufhin möglicherweise nur als ein Buhlen um die Sympathie des Publikums entlarvt wird? Und das vielleicht sogar noch zu Recht. Außerdem, ist ein Überangebot derselben Kombination von Darstellungsformen irgendwann nicht auch ausgelutscht?

Wenn ich mir das Zielpublikum anschaue, mich in ihre Situation zurück versetze, so sehe ich gerade in jenen Themen und Gegenständen eine große Anziehungskraft, die Gegenentwürfe zur gesellschaftlichen Erwartungshaltung und einen Freiraum zur selbstbewussten Persönlichkeitsentwicklung eröffnen. Daran anknüpfend müssten es doch insbesondere alternative künstlerische Verwendungsweisen der gewohnten Gegenstände und Kommunikationsformen sein, die die Aufmerksamkeit des Publikums einfangen. Jene Darstellungsweisen, die den Erwartungshaltungen, auch den eigenen, überraschend und mutig widersprechen.

Sind da eine Videosequenz hier und ein bisschen Jugendsprache dort schon genug?

Sicherlich bedeutet dies einen wichtigen sehenswerten Anfang, aber ich muss irgendwie darüber nachdenken, ob es nicht auch noch anderen Wege gibt. Wege, die eben nicht das Vertraute, das Ähnliche als Tür- und Blickwinkel-Eröffner verwenden. Sondern sich zum Ziel setzen, eben das Abstrakte zu zeigen, das Minimalistische. Ein Aufzeigen einer Alternative durch die andersartige Verwendung des vertrauten Materials. „Ganz wenig ist ganz viel“ meinte Kristo Sagor, Mitglied der diesjährigen Preisjury, in einer Gesprächsrunde mit uns Stipendiat*innen. Darin sehe er die aktuelle Herausforderung, die sich gegenüber jener Gewohnheit an ein tägliches HD/3D/AllesD – Überangebot stellt, das die Lebenswelt unseres jungen Publikums prägt. Unserem Kulturpublikum von morgen.

Wie soll dieses Publikum denn eigentlich aussehen, frage ich mich im Nachklang an das Festival, in dem es natürlich mehr Fach- als junges Publikum zu beobachten gab. Wünschen wir uns nicht frisch-freche wachsame Denkende, die in ihrer Wahrnehmung früh dafür sensibilisiert und geschult werden künstlerische Symbole zu lesen und zu verstehen, diese zu abstrahieren, und schließlich in einen Zusammenhang zu ihren eigenen Lebenskontexten zu setzen? Kritische Zuschauende, die nicht erwarten, dass man ihnen die Lösungsvorschläge serviert, sondern auch den Wert eines Kunstgenusses schätzen können, der sich nicht nur “abnicken“ lässt. Kunst, die nicht nur Realität abbildet sondern Freiraum zur Mehrdeutigkeit lässt. Die Denkanstöße bietet, einen individuellen (Be-)Deutungsraum eröffnet und damit letztendlich auch die Freisetzung von Kreativität in jeder*m Einzelnen fördert und anregt. Ist nicht dann das Entdecken der eigenen kreativen Kraft und auch der des Gegenübers eine “coole“ Sache?

Und da frage ich mich nun, ob wir eben nicht doch manchmal schon damit anfangen, die Inhalte vorgekaut zu präsentieren? Nämlich um den (wohl gemerkt oft schier zu späten) Einstieg für das junge Publikum bequemer zu machen. Teils sogar damit der Einstieg überhaupt noch geschieht? Laufen wir Kunstschaffenden dabei nicht Gefahr, das Theater dabei in einer ganz wichtigen Antriebskraft zu schwächen – nämlich in jener Faszinationskraft die es gerade im unangepassten, fremdartigen, alternativen Darstellen von Wirklichkeit, im Gegenentwurf zum Gewohnten, entfalten und mit der es auch sein Publikum locken kann!?

A propos locken – wie viel mehr kann man wohl noch aus der Reserve locken? – das habe ich mich im Nachklang des Festivals auch noch gefragt. Und zwar auf beiden Seiten. Auf Seiten der Theatermachenden hinsichtlich unkonventioneller Darstellungs- und Erzählformen und auch auf Seiten des Publikums hinsichtlich auf sie abgestimmte Themengebiete, möglicher Partizipationsformen und Örtlichkeiten.

Nun, dass das alles andere als leicht zu beantworten ist, das wird mir schon allein am Herumgestakse in diesem wachsenden Fragensalat bewusst. Aber genau das ist es ja eben:

„CATCH ME IF YOU CAN!“

Es gibt natürlich nicht die Antwort, genauso wenig wie es das Kind, den Jugendlichen oder die Zielgruppe gibt.Wie unterschiedlich waren ja allein schon die künstlerischen Hintergründe, Sehgewohnheiten und Geschmäcker in unserer kleinen Gruppe von Stipendiat*innen. Da wurden gemeinsam Stücke besucht, die versuchen eine breite Masse zu erreichen und trotzdem hat es den einen gepackt, den anderen nicht. Teilweise konnten wir uns darüber die Köpfe hitzig diskutieren, kamen auf keinen Nenner. Andere Male waren wir sofort auf einem. Das aber war gerade das Spannende für mich, wenn eine Inszenierung diese Reibung, diese Mehrdeutigkeit eröffnet. Und wenn schließlich in einer Reflexionsrunde auch der eigene Horizont nochmal durch die Erkenntnisse der Anderen bereichert wird, dann hat mich ein Stück im Nachhinein irgendwie doch ein bisschen gefangen. Wenigstens meine momentane Aufmerksamkeit. Ob es mir „gefallen“ hat oder nicht.

Und damit komme ich zurück zu meiner Reisetasche und meinem Notizbuch. Ich finde darin nicht nur ein theoretisches Fragenkonstrukt, an das sich im Nachhinein des Festivals immer neue Fragen anknüpfen lassen. Da ist auch ein interessantes Netzwerk zwischen spannenden Persönlichkeiten entstanden, die in ihrer Verschiedenheit meinen Horizont in dieser Woche bereichert haben. Es war eine tolle Erfahrung für mich, und ich bin dankbar Teil dieses Stipendiat*innen-Kreises und damit aktiver Part des Festivals gewesen zu sein. Das möchte und kann ich gerne weiter empfehlen.

Es ist an der Zeit mein Notizbuch zu schließen, ich merke, dass ich auf die “Fang-Frage“ wohl keine zusammenfassende Antwort finde – stattdessen entstehen ja immer mehr Fragen. So ähnlich war das auch mit dem Westwind Festival. Ich bin mit Fragen und Vorahnungen gekommen. Ein Teil hat sich dort von selber verflüchtigt, ein Teil wurde überraschend un- andere bestärkend befriedigend beantwortet. Wieder andere sind zwischen zusammengesteckten Köpfen neu entstanden und bereichern mein Denken seitdem. Am Ende kommt mir dann aber doch noch das Lieblingszitat von Günter in den Sinn, der uns bei Stagnations-Momenten in Gruppenentscheidungen gerne den Impuls gab: „Ey, genug nachgedacht – kommt mal ins Tun, probierts aus!“

In diesem Sinne, lass ich den theoretischen Fragensalat mal Fragensalat sein und sage:

CATCH ME IF YOU CAN!

Notizbuch zu. Reisetasche in den Schrank.
Hier bin ich jetzt mal weg.

Ihr findet mich beim Ausprobieren.

Von Rebekka Gebert

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