Mein Haus – Dein Haus – Euer Haus – Our House

Foto @ Walter G. Breuer

Wer kennt das nicht? Begegnungen auf Festivals, gegenseitiges Interesse an der Person, an der Arbeit des Gegenübers, der Wunsch das Kennenlernen zu vertiefen, Gespräche weiter zu führen, gemeinsam zu arbeiten. Und dann zurück in die eigene Stadt, und dann der eigene Alltag und dann 8000 Kilometer Distanz und dann?

Im Falle von Ishyo Arts Centre aus Kigali und dem Helios Theater Hamm entstand aus vielen „und dann“ eine ruandisch-deutsche Theaterkoproduktion für Publikum ab 12 Jahren. Fünf Spieler*innen und ein Musiker stehen auf der Bühne, die Hälfte von ihnen lebt in Deutschland und die andere Hälfte in Ruanda. Unter der Regie von Barbara Kölling und Carole Karemera erzählen sie Geschichten von Häusern, eigene und überlieferte, erlebte und nacherlebte. In den Geschichten geht es um den Schutz des Hauses und die Gefahr des Im-Haus-seins, Verlust von Häusern durch Zerstörung oder Vertreibung und die Erinnerung an das (frühere) Zuhause. Dabei befasst sich die Inszenierung mit dem geschichtlichen Erbe der Shoah in Deutschland und des Genozids an den Tutsi in Ruanda.

Beim Inszenierungsgespräch mit den Gruppen werden Fragen zur Inszenierung, zur Gestaltung der gemeinsamen Arbeit und zum Prozess des Kennenlernens gestellt.

Der erste Kontakt entstand in Bologna, das Helios Theater zeigte „Spuren“ auf dem Festival. Carole Karemera lud die Gruppe daraufhin nach Kigali ein, um das Stück auf dem KINA Festival zu spielen und das Helios Theater lud wiederum Ishyo Arts mit ihrem Stück „hellwach“ nach Hamm ein. Das gegenseitige Interesse der Gruppen wuchs in Folge der Besuche zu dem Wunsch, ein gemeinsames Theaterprojekt zu starten. Dies wurde durch Förderungen des Bundes (Fonds turn), des Landes NRW und des Goethe Instituts ermöglicht. Finanzierung, Bürokratie, Organisationsarbeit bedeuten bei einem solchen internationalen Koproduktionsprojekt einen erheblichen Mehraufwand für die Beteiligten Gruppen, der auch nach der Premiere nicht abgeschlossen ist. Die Gruppen begeben dort sich auf (teils) unbekanntes und hochpolitisches Terrain.

Wir hatten in der Probenzeit Glück, da gab es keinerlei Visa- oder andere Bürokratieprobleme. Das sehen wir aber in der momentanen Situation tatsächlich als reines Glück an, ohne Zuverlässigkeit. Das haben wir ja jetzt für die Gastspiele mit dem Stück, z.B. nach Südafrika auch direkt zu spüren bekommen, da gab es keine Visa für die Kolleg*innen aus Ruanda.
(Barbara Kölling im E-Mail-Interview)

Unbekanntes Terrain gibt es aber auch in der gemeinsamen künstlerischen Arbeit. In der ausführlichen Dokumentation zu „Our House“ beschreibt Karemera über die 1. Phase der Probenarbeit in Hamm:

Was den Januar angeht, erinnere ich mich, dass wir Materialien wie Ton und Stöcke verwendet haben. Aber in Wirklichkeit ging es nicht darum, die Materialien zu entdecken, sondern uns selbst. Zu sehen, welche Fähigkeiten wir haben, wie wir jemanden kennenlernen, wenn wir ihm oder ihr beim Erschaffen zuschauen. […] Es war schön, einander zu beobachten. Zu sehen, wie es ist, diese drei Ruander*innen und diese drei Deutschen zusammen zu haben. […] Und dann das Herausfinden, worüber wir als Gruppe gerne sprechen würden, welche Fragen wir gerne stellen würden und wie viel wir darüber wissen wollten: wer bin ich, wo komme ich her, was ist meine Lebenszeit, die Geschichte unserer Länder? Wir waren das Material.
(aus einem Interview mit Carole Karemera am 16.09.16, abgedruckt in der Dokumentation zu „Our House“)

Ähnlich beschreibt auch Barbara Kölling das Zusammenkommen der gruppeneigenen Arbeitsweisen in den Proben:

Unser gemeinsames „Material“ waren die Geschichten über, mit oder vor Häusern und da konnte jede/r bei sich selbst anfangen. Damit zu improvisieren, Aufgabenstellungen damit zu verfolgen war für jede/n unterschiedlich neu, aber das unterschied sich jetzt nicht nach europäisch/afrikanisch. Sicherlich sind die Arbeitsweisen der beiden Theater in der Vergangenheit verschieden gewesen und sicherlich werden sich Zugänge durch diese Arbeit verändert haben. Ein Konzept hierzu im Vorhinein gab es nicht, eher eine große Bereitschaft sich aufeinander einzulassen, zuzuschauen, zuzuhören.
(Barbara Kölling im E-Mail-Interview)

In der Inszenierung wird dieses Vorgehen ersichtlich. Die Performer*innen stehen als Individuen auf der Bühne, die eigene Geschichten und Standpunkte in die Inszenierung einbringen, dabei handelt es sich teils um biografische Erlebnisse und teils um nacherzählte Ereignisse aus der Vergangenheit, zu denen die Performer trotz der dazwischenliegenden Zeit eine persönliche Verbindung herstellen. Aber auch die praktischeren, teils handwerklichen Fragen an einen Hausbau, die ein Performer als Ergebnis einer Schreibaufgabe mit zu den Proben bringt, finden Platz in der Inszenierung. Mit Unterstützung der anderen Perfomer*innen bilden sie die Eingangsszene in das Stück und das Bild des Hauses. Die Erzählpassagen der Performer*innen wechseln sich ab mit poetischen Texten, die im Probenprozess entstanden sind und der Inszenierung eine weitere Texteben hinzufügen, die sich ästhetisch mit der choreografierten Bewegung der Performer*innen trifft. Jede Szene wird begleitet von Sound und Musik, die von Hervé Twahirwa live auf der Bühne gemischt wird.

Beim Zusammenspiel der Performer*innen ist die gegenseitige Aufmerksamkeit für einander augenfällig, sie verleiht der gesamten Inszenierung ihren Rhythmus. Ein Beispiel dafür, wie sich die Struktur der Proben auf die Ästhetik der Inszenierung ausübt:

Am Anfang war eine gewisse Spannung und Neugierde da, wie wird es sein? Und dann ging es bei uns eben sehr schnell, dass alle gerne und viel als Gruppe zusammen kamen. Und wie diese Gruppenbewegungen waren, wie teilweise dann Begegnungen choreografisch und chorisch zusammen kamen, ohne dass das die Aufgabenstellung war, mehr, weil es das Bedürfnis der Gruppe war. […] Dieses Prinzip, dass die anderen, wenn einer eine Geschichte erzählt, immer bei dem Erzählenden sind. Sei es durch Hören oder durch Kommentieren, das ist aus diesen Anfängen entstanden.
(aus einem Interview mit Barbara Kölling am 15.03.17, abgedruckt in der Dokumentation zu „Our House“)

Wir dachten viel darüber nach, wie die Beziehung zwischen den Geschichten und dem Publikum und uns allen ist. Es ging um das Zusammenbringen von Bildern und neuen Materialien. Und auch darum, zu sehen, ob es noch etwas gab, das wir unbedingt sagen wollten. Falls ja, wie können wir es ausdrücken? Wir sprechen natürlich nicht alles an. Aber viele der Themen, die der Gruppe wichtig waren, sind auf der Bühne zu sehen, was von Respekt in Hinsicht auf jede*n Einzelne*n und seine*ihre persönliche, sowie nationale oder globale Geschichte zeugt. […] Das, was in „Our House“ auf der Bühne passiert, ist für mich eine tatsächliche Konversation, die gestaltet stattfindet.“
(aus einem Interview mit Carole Karemera am 16.09.16, abgedruckt in der Dokumentation zu „Our House“)

Ob auf der Bühne eine Konversation stattfindet, oder nicht eher ein Nebeneinander von sich zeitweise berührenden Geschichten, möchte ich dem Blick des Publikums überlassen. Aber dass die Inszenierung für Gesprächsstoff im Nachhinein sorgt ist gewiss.

KLUB KIRSCHROT
KLUB KIRSCHROT entwickeln in kollektiven Arbeitsprozessen Theaterstücke für ein junges Publikum. Das WESTWIND 2017 dokumentiert KLUB KIRSCHROT als WESTWIND-Blog Team bestehend aus Rosi Böhm, Kristin Grün, Sarah Kramer und Matthias Linnemann.

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